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Die Technologie der Spracherkennung wird erwachsen und für Firmen brauchbar

spitch news NZZ.jpgEs war absehbar, aber trotzdem unnötig: Als in den Kantonen vor einigen Monaten die ersten Impftermine freigegeben wurden, brach nicht nur der Onlinezugang zu den Terminbuchungen wegen Überlastung zusammen, sondern auch die Telefonzentralen waren wegen der beschränkten Zahl von Personen, die Anrufe entgegennehmen konnten, ob der plötzlich in die Höhe schnellenden Nachfrage überfordert.

Naturgegeben war es gleichwohl nicht, dass die Impfwilligen nicht oder erst dann, als es zu spät war, freie Termine buchen konnten. Dank dem technischen Fortschritt in den Bereichen künstliche Intelligenz (KI), Spracherkennung und maschinelles Lernen gibt es mittlerweile technisch brauchbare Lösungen für dieses Kapazitätsproblem. Die kleine Zürcher Softwarefirma Spitch ist jedenfalls davon überzeugt, dass mit ihren innerhalb weniger Wochen anwendbaren Lösungen zur Triage diese plötzliche Flut von Anrufen bewältigbar gewesen wäre.

Bei der Digitalisierung vergessen worden

Alexey Popov, der Gründer und Chef von Spitch, erklärt sich die schlechten Erfahrungen mit den Kontakt-Center-Anrufen damit, dass die wichtige Telefon-Schnittstelle zum Kunden bei der Digitalisierung bisher vergessen ging. Doch es ist genau dieser Engpass, der über die Kundenzufriedenheit entscheidet. «Der Kunde will nicht warten, egal, ob er sich per Telefon oder mittels Textnachricht gemeldet hat», konstatiert er. Denn selbst wenn es dem Kunden gelinge, mit einem Agenten im Callcenter zu sprechen, wolle er nicht alles wiederholen. Ebenso missfalle es ihm, von der einen zur anderen Person weiterverbunden zu werden, weil er vielleicht falsch verstanden worden sei oder weil während des langen Prozesses wichtige Informationen auf der Strecke geblieben seien.

Bei der Buchung eines Impftermins muss man es vielleicht tolerieren, wenn das «Kundenerlebnis» schlecht ausfällt. Denn die Dienstleistung kommt – für den Benutzer – kostenlos vom Staat und ist monopolisiert, ein Ausweichen auf bessere Angebote entfällt. In einem marktwirtschaftlichen Umfeld hingegen, in dem Firmen um Kunden buhlen, reicht das nicht. Ein schlechten Kundendienst kann sich kaum ein Anbieter mehr leisten, denn die Konkurrenz ist in den meisten Branchen nicht weit entfernt.

Deswegen aber überdimensionierte Callcenter aufzubauen, ist auch keine Lösung, denn dies wäre zu teuer und ineffizient. Vor dieser Herausforderung stand Swisscard, die in Horgen ansässige Herausgeberin von Kreditkarten. Das Joint-Venture-Unternehmen von Credit Suisse und American Express (Amex) bezeichnet sich mit rund 1,5 Mio. Kreditkarten im Umlauf als Marktführer von sogenannten Premiumkarten in der Schweiz.

Telefon hat Priorität

Rund die Hälfte der etwa 670 Mitarbeitenden sind bei Swisscard allein im Kundendienst und bei der Betrugsbekämpfung tätig. Obwohl die Kommunikation mit der Kundschaft zunehmend über mehr Kanäle verläuft, sei das Telefon das wichtigste Kommunikationsmittel geblieben, erklärt Özlem Civelek. Die Managerin ist in der Geschäftsleitung der Firma als Chief Operations Officer für den Bereich Kundendienst verantwortlich.

Swisscard verfolgt laut eigenen Angaben bei jedem Anruf das Ziel, Kundinnen und Kunden so rasch als möglich mit dem richtigen Agenten zu verbinden, der das Anliegen rasch löst. Das tönt recht einfach, ist es aber nicht, wie jeder weiss, der hin und wieder per Telefon Kundendienstzentren konsultiert: mühsames Durchklicken durch verschiedene Menus, wählen, in welcher Sprache der Anruf erfolgen soll, und anschliessend abwägen, in welche Kategorie das Anliegen wohl fällt. Dennoch hängt man anschliessend oft allzu lange in einer Warteschlange – keine gute Ausgangslage, wenn man ein dringliches Anliegen hat, das rasch erledigt werden müsste.

Swisscard war eine der ersten Grossfirmen, die sich in der Schweiz Unterstützung bei Spitch holten. 2018 entwickelte das Unternehmen zusammen mit der kleinen Zürcher Softwarefirma eine Kommunikationsplattform und lancierte sie anschliessend für den eigenen Gebrauch. Das Neue daran ist, dass der Sprachroboter die gesprochene Sprache nicht nur versteht, sondern daraus auch ableiten kann, um was es sich bei der Anfrage handelt. Schon nach dem ersten Klingeln antwortet das System. Mündlich äussert der Kunde sein Anliegen und wird direkt mit dem zuständigen Agenten verbunden. «Normalerweise wird bei uns ein Anruf innerhalb von zwanzig Sekunden abgenommen», sagt Civelek – auch jetzt, wenn alle Agenten von zu Hause aus arbeiteten.

Sprachdienst versteht Dialekt

Weil dieser Service fast ausschliesslich von in der Schweiz lebenden Personen genutzt wird, ist es von Vorteil, dass der digitale Sprachassistent nicht nur sämtliche Landessprachen und Englisch versteht, sondern auch mit allen Dialekten zurechtkommt. Er antwortet zwar in Standarddeutsch, doch der Kunde kann in seinem jeweiligen Dialekt normal sprechen. Der Agent sieht dann die Konversation transkribiert auf seinem Bildschirm.

Das ist jedoch nicht alles. Der Agent weiss auch genau, was der Grund des Anrufs ist, selbst wenn sich der Kunde vielleicht etwas unmissverständlich oder kompliziert ausgedrückt hat. Das ist nur möglich, weil die Technologie im Bereich Spracherkennung und -verarbeitung mittlerweile so ausgereift ist, dass sich nicht der Mensch dem Sprachroboter, sondern der Roboter dem Menschen anpasst.

Laut Popov gibt es weltweit nur etwa 15 Firmen, die gesprochene Sprache mit eigener Technologie verstehen und interpretieren können. Im Gegensatz zu den grossen Technologiefirmen wie Google oder Apple, die Spracherkennungs-Technologien zwar vorantreiben würden, verstehe nur ihr Sprachdienst auch Schweizerdeutsch, sagt der Geschäftsführer. Weltweit habe Spitch mehr als 35 Grosskunden, welche die Spitch-Omnichannel-Suite- und Sprachanalyseprodukte einsetzen würden, ergänzt Popov.

Dazu musste die Maschine indes dahingehend trainiert werden, dass sie die Schlüsselbegriffe richtig zuordnen kann. Die einfache Umwandlung von Sprache in Text reicht dafür nicht. Es brauche einen virtuellen, auf künstlicher Intelligenz basierenden Sprachassistenten, der die gesprochene Sprache oder den Text analysiere, Sprachmuster erkenne «und herausfindet, was jemand mit einem Satz tatsächlich sagen will», umschreibt Popov die technische Herausforderung.

Sprachmuster als Ausweis

Swisscard reagiert damit auf die veränderten Anforderungen. In Zeiten, in denen sich Kreditkarteninhaber noch mit monatlichen oder sogar jährlichen Papierrechnungen begnügen mussten, betrafen die meisten Anrufe Abfragen des Kontostands. Nun können Kunden dies via App oder Computer selbst und rund um die Uhr erledigen. Den Kontostand erfahren sie dabei nicht nur in Echtzeit, sondern sogar vorausschauend, weil zu Beginn einer Transaktion unmittelbar ein fiktiver Betrag blockiert wird. So wird es für Betrüger schwierig, mit einer gestohlenen Kreditkarte beispielsweise einen ganzen Tankwagen zu füllen.

Im Bereich Kreditkarten ist im Kundenverkehr nicht nur eine reibungslose Kommunikation wichtig, sondern auch die Gewissheit, dass der richtige Kunde am anderen Ende der Leitung ist. Bisher mussten Kundenberater für die Authentifizierung eine Reihe von Kontrollfragen stellen. Das ist mühsam, zeitraubend und führt im schlechtesten Fall zur Beendigung des Gesprächs.

Dieses Problem kann ein sogenannter Stimmabdruck entschärfen, der besonders von Banken geschätzt wird. Wenn es der Kunde wünscht – er muss zuvor ausdrücklich seine Zustimmung geben –, wird für ihn ein Sprachmuster aufgenommen, mit dem er sich dann gegenüber seiner Bank künftig ausweisen kann. Laut Popov sei die Migros Bank eines der ersten Finanzinstitute gewesen, die diesen Service in der Schweiz eingeführt hätten. Es seien damit gute Erfahrungen gemacht worden, die Akzeptanz sei sehr hoch.

Genau solche biometrischen Sprachanwendungen erfreuten sich besonders starker Nachfrage, urteilt die Marktforschungsfirma Grand View Research in einer Marktanalyse. Im vergangenen Jahr seien weltweit mit Sprachsoftware 14,2 Mrd. $ erwirtschaftet worden. Bis 2025 wird mit einem jährlichen Wachstum von 17,5% gerechnet. Auf ähnliche Zahlen kommt der britische Konkurrent Meticulous Research. Die häufigsten Anwendungen für Sprachsoftware sind die mündlich bedienbaren Assistenten Alexa (Amazon), Echo (Google) und Siri (Apple) sowie die Sprachsteuerung im Auto.

Zu viel Automation?

Auch Swisscard ist sich bewusst, dass der Kundendienst noch stärker automatisiert werden könnte bis hin zum Verzicht auf Agenten. Davor schreckt das Unternehmen aber zurück. «Wir könnten es noch etwas feingranularer machen, dies hängt allerdings vom Kundenbedürfnis ab», sagt Civelek. Ideen für einen Ausbau gebe es genügend.

Doch mehr Automation bedeutet auch eine grössere Distanz zum Kunden. Individuelle und intuitive Reaktionen werden schwieriger. Die Kunden würden nicht nur auf einen kompetenten, sondern auch einen empathischen Kundendienst Wert legen, betont Civelek.

Wie weit die Automatisierung des Kundendiensts bei Swisscard geht, werden die Erfahrungen mit der im vergangenen Sommer lancierten neuen Version der App liefern. Laut Angaben der Firma nutzen sie bereits mehr als 300 000 Kunden. Das ist zwar eine stattliche Zahl, aber trotzdem noch weniger als die Hälfte der gesamten Kundschaft. Der direkte Kontakt von Mensch zu Mensch wird offenbar nach wie vor geschätzt.