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«Unser Sprachdienst versteht Schweizerdeutsch»

blog-2019-01-28.jpgDer 45-jährige Alexey Popov schreckt nicht davor zurück, auch einem der renommiertesten Schweizer IT-Spezialisten zu widersprechen. Ende 2018 stellte Urs Hölzle, der Technologiechef des amerikanischen IT-Giganten Google, in einem Interview klar, weshalb digitale Sprachassistenten keine Schweizer Dialekte verstünden. Im Fall von Google möge das stimmen, kontert Popov, doch nicht für Spitch. Das von ihm gegründete Jungunternehmen behauptet, der erste Anbieter für Unternehmenslösungen zu sein, die verschiedene Schweizer Dialekte verstünden.


Prominente Kunden

Als Tatbeweis kann der galante Unternehmer schon einige Kunden nennen, die die Stimm- und Spracherkennungsprodukte von Spitch im Einsatz haben. So versteht es die App der SBB, wenn via Sprachsteuerung einer der mehr als 25 000 Bahnhöfe gesucht wird, und zwar ungeachtet des verwendeten Dialekts. Die gesprochene Sprache von 98% aller Schweizer Bürger werde erkannt, ob sie nun deutsch, französisch, italienisch oder eine andere Sprache sprächen, heisst es.

Lange hat es gebraucht, bis gesprochene Sprache zur Bedienung von Geräten einigermassen vernünftige Resultate liefern konnte. Doch nun scheint sich die Technologie endlich so weit verbessert zu haben, dass sie nicht nur funktioniert, sondern auch von den Benutzern akzeptiert wird. Laut jüngsten Zahlen erfolgt in den USA bereits jede vierte Suchabfrage mündlich. Die Experten gehen davon aus, dass schon nächstes Jahr die Hälfte der analytischen Suchabfragen sprachbasiert erfolgen werden. Entsprechend schnell dürfte sich dieser Milliardenmarkt entwickeln.

Bisher würden Personen, die über einen Sprachbot kommunizieren, ihre Aussprache der Automatensprache anpassen, was laut Popov nicht erforderlich ist. Damit jeder natürlich sprechen könne, müsse das System jedoch mit spezifischen Kundenaudiodateien gefüttert werden. In rund zehn laufenden Projekten sei Spitch involviert, z. B. bei einem italienischen Callcenter oder beim britischen Netzbetreiber Syntec, der damit Kreditkarteneingaben erfasst. Der grösste Schweizer Autoimporteur Amag nutzt eine Lösung von Spitch, damit ein Anrufer nur Fahrgestellnummer, Automarke und Fahrzeugmodell nennen muss, um direkt zum zuständigen Agenten weitergeleitet zu werden. Das spart Zeit und Geld.

Obwohl sich Popov schon seit 25 Jahren mit Technologie beschäftigt, lag es nicht auf der Hand, dass er im Zürcher Seefeldquartier ein Startup-Unternehmen gründen wird, das nach drei Jahren zwar erst 4 Mio. Fr. Umsatz macht, aber schon «ein bisschen profitabel ist». An der Moskauer Staatsuniversität hat Popov Mathematik und Physik studiert. Anschliessend gründete er verschiedene Jungunternehmen im Bereich Finanzen, die offenbar noch alle existieren. Während gut zehn Jahren leitete er die Moskauer Bank Soft Systems (BSS), die Bankensoftware vor allem für den osteuropäischen Raum entwickelt.


IT-Projekte für den Staat

Mit 32 Jahren entschied sich Popov zu einem radikalen Schritt, weg von eher kleinen, privat finanzierten Firmen, hin zum grossen Staatsbetrieb. Als Chief Information Officer beim russischen Schatzamt wurde ihm ein Riesenprojekt anvertraut. Das 444 Mio. $ grosse Unterfangen war von der Weltbank finanziert und dauerte mehrere Jahre. Dabei hat es sich um die Einführung einer Betriebssoftware von Oracle für rund 50 000 Staatsangestellte gehandelt, «eine unbezahlbare Erfahrung». Die letzten beiden Jahre beim russischen Staat war er als IT-Verantwortlicher für die Einführung von E-Government-Lösungen zuständig.

Nach Projektende wechselte Popov zur russischen Grossbank Sberbank. Dort leitete er während dreier Jahre den Bereich Kreditkartenverarbeitung. Anschliessend begann die, wie er sie nennt, dritte Phase, als er mit seiner Familie in die Schweiz übersiedelte. Das Land hätten sie vom Skifahren her gekannt. Seit 2015 lebt er mit seiner russischen Frau und den zwei Töchtern im Alter von 15 und 5 Jahren in Lugano. Das habe nicht nur wegen des mediterranen Tessiner Klimas Vorteile, sondern auch darum, weil Spitch ausser in Zürich und London in Mailand eine Niederlassung unterhält. Mittlerweile zähle das Unternehmen 45 Mitarbeiter, und es werde rege rekrutiert. Der Verkauf, der Kundendienst und die IT-Entwicklung befinden sich in Zürich, weil sie vom Fachwissen der hiesigen Universitäten profitieren könnten. Laut Popovs Ansicht sei die Schweiz «einer der besten Orte, um eine Firma zu gründen».

Für dieses Jahr ist eine Finanzierungsrunde geplant, um die beschleunigte Variante der Strategie umzusetzen. Wegen des Netzwerks hätte er am liebsten europäische und amerikanische Investoren. Die Mehrheit am Unternehmen wolle er aber behalten, zumindest bis zum Börsengang, den er als in drei bis fünf Jahren realistisch erachtet.